Nach dem Ersten Weltkrieg zog es den Schweizer Komponisten Frank Martin nach Zürich, Rom und schließlich in die französische Hauptstadt. In seiner Pariser Zeit von 1923 bis 1926 entstanden seine bekannten Trio sur des melodies popularies irlandaises (1925) und die Rythmes (1924-1926) für Orchester. Für ein Pariser Marionetten Theater schrieb er dort außerdem sein Diptychon Overture and Fox Trot (1924) für zwei Klaviere. Als der Komponist 1927 nach Genf zurückkehrte, um dort eine Lehrstelle am Institut Jaques-Dalcroze aufzunehmen, entstand die zweite Fassung des Fox Trot als Adaption für kleines Orchester. (Flöte, Klarinette, Oboe, Fagott, Horn, Trompete, Posaune, Klavier, Streicher)
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Trotz des Bezugs zur Popularmusik und zum Jazz verzichtete Frank Martin aber auf typische Instrumente wie das Saxophon und verwendet auch keine Perkussion für sein Stück. Die Bearbeitung, so Pieter Mannearts, sei durchaus keine Imitation amerikanischer Populärmusik, sondern eine Arbeit, die beispielhaft für die Integration „importierter“ Stilelemente in eine Komposition, die sehr europäisch bleibt.
Der Fox Trot folgt einer schlichten A-B-A‘-Form. Das Werk öffnet mit einer absteigenden, chromatisch gefärbten Melodie der Oboe über einer leichten Begleitung in g-Moll, gespielt vom Klavier und Streichern. Ein sequenzierendes Pattern moduliert klug und überraschend durch eine lange Reihe von Tonarten, bevor es nach g-Moll zurückkehrt. Der B-Teil beginnt mit einer Melodie in G-Dur in den Trompeten, charakterisiert durch ein zentrales Motiv mit einer kleinen Terz (h-d). Zurück zur Sektion A‘ kehrt das Anfangsmotiv, zuerst intoniert durch die Klarinetten, später von den Streichern übernommen, dann von den Bläsern, abschließend verstärkt durch Klavier und Streicher. Die Musik steigert sich in ein kraftvolles Tutti – bevor sie fast unmerklich vergeht.
Am 20. Dezember 1927 wurde der Fox Trot wurde am vom Chamber Orchestra of Boston unter Nicolas Slonimsky uraufgeführt
Ernst Toch: „Der meist vergessenste Komponist des 20. Jahrhunderts“
Ernst Toch um 1930 in Deutschland(Ernst Toch Archive, UCLA Library, Performing Arts Special Collections)
Der 1887 in Wien geborene Ernst Toch zählte Ende der 1920er Jahre noch zu den meistgespielten zeitgenössischen Komponisten im deutsch-sprachigen Raum. Wegen seiner provokanten Klänge, der maschinenhaften Rhythmik und eines scharf dissonanten Kontrapunkts galt er als einer der frechsten Tonsetzer dieser Zeit. Tochs 1930 komponierter Fuge aus der Geographie für vierstimmigen Sprechchor, die als Musterbeispiel für Musik der „Neuen Sachlichkeit“ verstanden wird, kommt bis heute weltweit eine populäre Rolle im Chorrepertoire zu. Mit der Flucht vor den Nationalsozialisten und der Emigration in die USA verschwand der Komponist aus den europäischen Konzertprogrammen und außer der Sprechfuge blieb dem Pubikum vieles seiner Musik bis heute noch unbekannt. Wenige Jahre vor seinem Lebensende bezeichnete Toch sich im Gespräch mit dem Musik-wissenschaftler Nicolas Slonimsky als „the world’s most forgotten composer“. Seit den 1990er Jahren allerdings werden seine Werke wieder häufiger aufgeführt und erfreuen sich aufgrund engagierter Tonaufnahmen und diverser Ersteinspielungen toch noch größeren Interesses der Hörerschaft abseits Geographischer Fugen.
Mit dem Vorbild Mozarts begann der junge Ernst Toch als Autodidakt vor allem Kammermusik im spätromantischen Stil zu komponieren. Innerhalb von Fachkreisen konnte er mit diesen frühen Werken bereits auf sich aufmerksam machen und mit seiner Ausbildung in Frankfurt avancierte Toch bald zu einem der maßgeblichen neusachlichen Komponisten. Dabei galten seine Interessen verschiedensten Genres und reichten von Bühnen- über Kammermusik bis hin zu experimenteller Musik für mechanische Instrumente und Schallplatten. Zwar nahm Toch in einigen Werken schon Ende der 1920er Jahre Abstand von seiner provokanten Tonsprache und bewies sich als ebenso begnadeter Melodiker, ein vollends neoromantischer Stil bestimmt Tochs Schaffen aber erst seit der Emigration. Er zeichnet sich durch weitgespannte Melodielinien aus und entwickelt eine Klanglichkeit die auch als karg, zuweilen als schroff bezeichnet wird.
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Fuge aus der Geographie (1930) gesprochen von Junger Chor Aachen unter Fritz Wey
Gesprochene Musik – „Grammophonmusik“ erster Stunde
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„Toch! .Sie sind ein Wahnsinniger!.Aber Hindemith, was bilden Sie sich einxxx mit solchen Werken?Sie sind doch ein aufrichtiger Bürger!“—Richard Strauss…….
Die Suite Gesprochene Musik für vierstimmigen Sprechchor, bestehend aus den drei Sätzen O-a, Ta-tam und Fuge aus der Geographie, komponierte Toch 1930 für die „Berliner Festtage für zeitgenössische Musik“, bei dem auch Musik am Programm stand, die speziell für elektrische Instrumente, für den Rundfunk sowie für Schallplatten konzipiert wurde. Tochs Gesprochene Musik war ursprünglich nämlich als Aufnahme für die manipulierte Wiedergabe durch ein Grammophon gedacht und versteht sich als ein Beitrag echter neusachlicher „Maschinenmusik“. Die Suite ist untrennbar verbunden mit der Vorstellung von der Schallplatte als einem klangverändernden Musikinstrument, die Toch der gängigen Idee von der Schallplatte als einem Reproduktionsmittel gegenüberstellt. Am 18. Juni 1930 kamen bei den Festtagen „Originalwerke für Schallplatten“ zur Aufführung, darunter eben die Suite Gesprochene Musik sowie Paul Hindemiths Trickaufnahmen. Im Veranstaltungsprogramm findet sich dazu folgende Erläuterung:
„Diese Platten sind die allerersten Experimente auf dem Gebiet einer originalen künstlerischen Produktion für die Schallplatte. Die Autoren möchten an diese mit unzulänglichen technischen Mitteln und ohne ausreichende Erfahrungen unternommenen Versuche nicht den strengen Maßstab eines Kunstwerks angelegt wissen. Sie sind sich bewußt, mit diesen Platten nichts weiter als kleine unterhaltende und scherzhafte Stücke geliefert zu haben, deren Wirkung durch Aufnahmetricks (Einkopieren, Mischen, Überblenden, Tonhöhenwechsel usw.) hervorgerufen wird und die vielleicht den Anfang einer weiteren künstlerischen Verwertung der spezifischen Möglichkeiten der Schallplatten darstellen können. “ („Originalwerke für Schallplatten“, in: Neue Musik Berlin 1930; Wiederdruck: Spiegel der Neuen Musik: Donaueschingen 1996)
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Bedauernswerterweise gingen die Schallplatten als auch die Originalnoten beider Komponisten verloren. Nur das Manuskript zu Gesprochene Musik überdauerte die Zeit.
„Ich wählte das gesprochene Wort und ließ einen vierstimmigen gemischten Kammerchor genau festgelegte Rhythmen, Vokale, Konsonanten, Silben, und Worte so sprechen, daß unter Einschaltung der mechanischen Möglichkeiten bei der Aufnahme (Vervielfachung des Tempos und die damit verbundene Ton-Erhöhung), eine Art Instrumentalmusik entstand, die es wohl fast vergessen machen mag, daß ihrer Hervorbringung nur ein Sprechen zugrunde liegt.“ (Toch, E.: Über meine Kantate ‚das Wasser‘ und meine Grammophonmusik, Melos. Zeitschrift für neue Musik 9. Mainz 1930. S. 221f)
Tochs konkrete Verwendung der Schallplatte bleibt ungeklärt, die Möglichkeiten der kompositorischen Operationen aber lassen sich erahnen. Ralph Kogelheide vermutet, dass die drei Sätze der Suite ohne Manipulation aufgezeichnet und anschließend durch Veränderung der Abspielgeschwindigkeit sowie durch Überlagerung mehrerer Aufnahmen verfremdet wurden. Obgleich das Medium Schallplatte für die Entstehung der Komposition eine wesentliche Rolle spielte, ging die epochemachende Fuge aus der Geographie ohne akustische Veränderung in das Chorrepertoire ein. Dies ermöglichte eine Initiative von John Cage, der die Aufführungen der Originalkompositionen für Schallplatte in Berlin miterlebte und 1935 eine von ihm angefertigte Partitur zu Tochs Sprechfuge als englische Ausgabe in der Zeitschrift „New Music“ von Henry Cowell veröffentlichen ließ.
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Ernst Toch:Fuge aus der Geographiefür Grammophon – ein Experiment von Miguel Molina und Leopoldo Amigo_______ ________:_______________________________________
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Die Fuge aus der Geographie – ausgesprochen musikalisches Sprechen
Besonders bei seiner Fuge aus der Geographie aus der Suite Gesprochene Musik versuchte Ernst Toch, durch verschiedenste Operationen des motivischen (textlichen) Materials musikalische Effekte allein mit gesprochener Sprache zu bewirken. Um die an sich tonhöhenungebundenen Sprechgesänge dennoch in eine musikalisierte Form zu bringen, rückt Toch andere Aspekte des musikalischen Ausdrucks ins Zentrum seiner kompositorischen Arbeit. So gewinnt er dynamisierende Wirkung vor allem durch das Hervorheben rhythmischer Gegensätze und kontrastierender Klänge der Sprechlaute. Besonders im kontrapunktisch organisierten, polyphonen Formverlauf der Fuge, der zu großen Teilen durch imitatorische Behandlung des musikalischen Materials bestritten wird, können im Zusammenwirken jeweils einzelner Stimmen rhythmisierende oder klangliche Effekte vielfach genutzt werden, sodass ein musikalisches Moment im Sprechen evoziert wird.
Gemäß den strengen Satzregeln einer Fuge lässt Toch das Thema zunächst erst jede Stimme einzeln hintereinander durchlaufen, bevor er nach dieser ersten Durchführung des Fugenthemas die Stimmen freier behandelt. Diesem Hauptthema der Fuge aus der Geographie stellt der Komponist freilich ein Kontrasubjekt gegenüber, das nach erstem vollständigen Erklingen des Themas einsetzt und dieses sodann auch weiterhin begleiten wird. Den zwei Themen der Fuge ordnet Toch folgendes Motiv- bzw. Textmaterial zu:
Thema
1 Ratibor! Und der Fluss Mississippi und die
2 Stadt Honolulu und der See Titicaca; der
3 Popocatepetl liegt nicht in Kanada, sondern in Mexiko, Mexiko, Mexiko
Kontrasubjekt
1 Kanada, Malaga, Rimini, Brindisi, Kanada, Malaga, Rimini, Brindisi.
2 Kanada, Malaga, Rimini, Brindisi, Kanada, Malaga, Rimini, Brindisi.
3 Ja! Athen, Athen, Athen, A-
4 then, Nagasaki, Yokohama,
5 Nagasaki, Yokohama,
6 Athen, Athen, Athen, Athen
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Thema der Fuge aus der Geogreaphie
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Kontrasubjekt der Fuge aus der Geogreaphie
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Jeanpaul Goergen deutet die Schlussfuge von Gesprochene Musik – wie auch die Dreisätzigkeit im Ganzen – als ironischen Hinweis Tochs auf die musikalische Werkhaftigkeit seiner Suite:
„Zwar erfüllt der Satz wesentliche Gattungsmerkmale einer Fuge: Die vier Stimmen setzen imitativ mit einem Thema ein, es gibt ein Kontrasubjekt, Augmentationen und Diminutionen. Doch wird die Ernsthaftigkeit, die mit dem strengen kontrapunktischen Satz assoziiert wird, sogleich durch den sinnfreien Text aus geographischen Namen humorvoll gebrochen. Zudem schließt Toch ein entscheidendes Element kontrapunktischer Arbeit von vornherein aus, indem er für einen Sprechchor komponiert: die aufeinander bezugnehmenden Tonhöhenbewegungen verschiedener Stimmen. Instrumentalmusik entstand, die es wohl fast vergessen machen mag, daß ihrer Hervorbringung nur ein Sprechen zugrunde liegt.“ (Goerge, Jeanpaul: Ernst Toch – Über meine Grammophonmusik, Westdeutscher Rundfunk, Studio Akustische Kunst, Sendung vom 03.06.1997.)
Erste Durchführung des Fugenthemas in der Fuge aus der Geographie (1930)von Ernst Toch
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– von F. W. am 8. November 2020
Quellen
Kogelheide, Ralph: Jenseits einer Reihe ‚tönender Punkte‘ – Kompositorische Auseinandersetzung mit Schallaufzeichnung, 1900–1930, Dissertation zu Erlangung des Doktorgrades der Philosophie, Hamburg 2017.
Merrill, Julia: Die Sprechstimme in der Musik – Komposition, Notation, Transkription, Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2016.
Raz, Carmel: From Trinidad to Cyberspace: Reconsidering Ernst Toch’s “Geographical Fugue”, in: Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie 9/2, 227–243, 2012.
Toch, Ernst: Über meine Kantate ‚das Wasser‘ und meine Grammophonmusik, in: Melos. Zeitschrift für neue Musik 9, S. 221f, Mainz 1930.
Dingler Hendrik: Das Musikinstrument Schallplattenspieler und dessen Erweiterungen im digitalen Zeitalter, Diplomarbeit für den Diplomstudiengang Komposition im Fach Elektronische Komposition, Essen 2013.
Arbeit macht frei von dreisten Gedanken, so flüchtig sie auch seien, die Leistenden kranken. Das Kapital trägt nicht was faul und träumt stetig. Wider der Widrigkeit, erstickt Arbeit sie im Keim.
Anstelle Erkenntnis erkenne Anstellung, ernenne sie für dich, zur Stelle der Tränkung. Kein Mensch denkt an morgen, wenn heute schon Sorgen. So arbeite dich frei, dass der Tag darauf dir günstig sei.
Gott sei dir dein Erwerb, er hat dich berufen im Dienste nicht zu stören, bezahlt Brot und Kuchen. Nur wer an Besitz denkt, daran nicht den Witz kennt: Wo Arbeit dir nur leiht, dort Gedankenreichtum dich befreit.
– der listigen Fleißes Leistung Österreichs Neuer Volkspartei gewidmet von hörprobenlärm (FW), 28.10.20
aus Stefan Wolpes „Massenlieder“ mit einem Text von Siegfried Moos
Haben Sie Kummer, haben Sie Sorgen, will Ihnen Lehmann nichts mehr borgen: Bei uns finden Sie eine schönere Welt! Drei Stunden Vergessen für wenig Geld, nach dem Sie sich, ach, schon so lange sehnen! Bei uns gibt es Lachen, bei uns gibt es Tränen.
Immer ran, immer ran an die Kasse! Unsre Ware ist prima Klasse! Kommen Sie rein, kommen Sie rein, kommen Sie rein! Das Theater soll Ihnen Ihr Himmel sein!
Besser als Kintopp, besser als Fusel gibt das Theater sel’gen Dusel. Mit wenig Moneten verzagen Sie nie! Die Bühnenstars begeistern auch Sie! Gerade für Sie sind doch unsere Gaben. Auch Bildung können Sie bei uns haben!
Immer ran, immer ran an die Kasse!
Unser Theater hat auch Moral, Raubmord und Totschlag, Liebesqual, verletzt nie die staatliche Autorität. Wir achten die Ordnung, die jetzt besteht. Wir bieten Ihnen das Beste vom Guten. Nur heitere Stunden (und) ernste Minuten:
Immer ran, immer ran an die Kasse!
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„Haben Sie Kummer“ von Stefan Wolpe
– Gunnar Brandt Sigurdsson (Tenor) begleitet von Johan Bossers (Klavier)
Mein Gewissen erlaubt mir nicht, einer Glaubensgemeinschaft anzugehören, die nicht zu verhindern wusste, dass unzählige ihrer Vertreter und Mitglieder oft sogar im Namen und mit dem vorgetäuschten Einverständnis eines ‚gütigen‘ Gottes Jahrhunderte lang ihre Mitmenschen mit dem Hinweis auf die im Himmel zu erwartende Vergeltung für alle auf dieser Welt erduldeten Leiden den Herrschenden und Reichen gefügig machten;
„Anna“ ist von vorne wie von hinten gleich. „Schtzngrm“ rattert wie ein Maschinengewehr. „Kuckuck“ ist ein Vogeltier. Kurt Schwitters, Ernst Jandl oder Heinz Erhardt haben sich mit Hilfe der Sprache über den alltäglichen Irrsinn erhoben. Christian Morgenstern und Robert Gernhardt haben es ihnen auf ihre Weise gleichgetan. „Dada“ ist da, wo der Wahnsinn kaum mehr zu ertragen ist. „Trump trampel“ oder der „Adler Horst“ sind die unheimlichen Figuren von heute. „Boris der Rechtsbrecher“ gehört zu ihnen ebenso wie „Kalaschnikow-Lukaschenko“ und „Zar Putin“ oder „Er Du an“ Erdogan. „B. Scheuer“ ist bescheuert. Wer der Maut traut und dabei Mist baut, wird aber nicht verhaut, selbst wenn sich Ungemach zusamenbraut. „Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt.“ Erich Känstner hatte sie mühsam heruntergelockt, doch nun müssen sie wieder hinauf, denn sonst hört das unsägliche Sägen nicht auf. „Danni bleibt“, selbst wenn kein Kästner so was schreibt. Klimaschützer sind viel weniger nützer für die Industrie. „Von den Bäumen runter, Ihr Affen!“ Klettercops gaffen und schaffen sie zu Boden. Stickstoff ist Erstickstoff. Autos führen zum Au-Tod. Wald gibt´s nicht mehr bald. Amazonas ist wie Pommerland bald abgebrannt. Was die Politiker nicht schaffen, das erledigt das Virus. Mein Gott, warum hast Du behauptet, Du hättest „den Menschen“ nach Deinem Bilde geschaffen?
Stefan Wolpe (1902-1972) Mit der Teilnahme an den Gesprächsklassen von Ferruccio Busoni in Berlin lernte Stefan Wolpe führende Künstler seiner Zeit kennen und kam so auch in Kontakt mit den Berliner Dadaisten wie mit dem Bauhaus in Weimar. Über Hans Heinz Stuckenschmidt stieß er zudem zur „Berliner Novembergruppe“, einer Künstlervereinigung der auch Komponisten wie Philipp Jarnach, Hanns Eisler und Kurt Weill angehörten. In seinem Schaffen setzte sich Wolpe mit der Musik der Zweiten Wiener Schule und später mit der seriellen Musik auseinander, rezipierte aber ebenso inspiriert den Jazz und Gebrauchsmusik.
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„An Anna Blume“ von Kurt Schwitters (1919) mit Musik von Stefan Wolpe (1929)
Stefan Wolpe vertonte das Gedicht Schwitters, das er als kleine Oper bezeichnete, im März 1929 für Klavier und musikalischen Clown (Tenor), wobei der Komponist mit Zwölftonfeldern arbeitete. Der zu Beginn des Stücks vom Sprecher/Sänger vorgetragene Titel startet in einem Fortissimo und wird, gleich einem auf das Minimum zurückgestellten Lautstärkeregler, auf die letzte Silbe zu einem Pianissimo zusammengezogen und hinter die Hörgrenze verlagert. Diese anfangs gebrachte Exposition des Titels (A..A..B..) weißt auf das Alphabet als ein Anagramm hin, das in Kurt Schwitters Werken des Öfteren seine Verwendung findet und mag von Thomas Plebs gleichsam als Hinweis auf das inhaltliche Programm des Liebesgedichts gedeutet werden: „eine A(n)nagrammatik der Liebe – wie man sie auch dreht oder wendet, ihre Substanz bleibt die gleiche. Die Liebe: Ein anagrammatisches Wandelbares – Ein allumfassenden Anagramm?“ (http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2008/6587/)
„An Anna Blume“ von Kurt Schwitters
Umschlag des Gedichtbandes „An Anna Blume“ von Kurt Schwitters (1919) (Quelle: sdrc.lib.uiowa.edu/dada/Anna_Blume_Dichtungen)
Mit
Gunnar Brandt-Sigurdsson (Tenor) und Johan Bossers (Piano) interpretieren „An Anna Blume“
Der heute weitgehend vergessene Komponist und Pianist Erwin Schulhoff (1894-1942), der im ersten Drittel des 20. Jhs. noch als einer der innovativsten Musikschaffenden seiner Zeit gekührt wurde erfuhr durch seine Zeit-genossen rege, teils auch scharfe Kritik, die nicht zuletzt auch Antwort auf die bewusst radikale Positionierung des Komponisten zur historisch etablierten klassischen Musiktradition des europäischen Kontinents war. Die im Zuge der Moderne aufkommenden stilistischen Tendenzen, die sich auch in Schulhoffs Kompositionen zu ent-falten begonnen hatten, gaben dem nationalsozialistischem Regime bekanntlich ausreichend Gründe, die Musik Schulhoffs als „entartet“ zu deklarieren und weitere Aufführung seiner Werke zu verbieten. Nachdem der in Prag lebende Komponist im Jahr 1941 letztlich von den einfallenden Nationalsozialisten interniert und in das Lager für Bürger anderer Staaten auf der Würzburg bei Weißenburg/Bayern deportiert worden war, verstarb er dort bald ein Jahr später an Tuberkulose.
Erwin Schulhoff, Holzstich von Conrad Felixmüller, 1924
Erwin Schulhoff und die Choreografin Milča Mayerová, 1931
Mit Ende des Ersten Weltkrieges sah sich Erwin Schulhoff mit traumatischen Erlebnissen der vergangen Jahre konfrontiert, die zur Konsequenz hatten, dass der Komponist sich neuen ästhetischen Überlegungen zuwandte. Zunehmend sprach er sich dafür aus, von einer Tradition des „falschen Pathos“ und der „Decadenz“ abzulassen und fortan neue Möglichkeiten des künstlerischen Schaffens zu ergründen. Schulhoffs Musik zeichnet sich durch kompositorische Vielfältigkeit, stilistische Gegensätze wie auch durch Widersprüchlichkeiten aus, was sich in den Werken aus ästhetisch unterschiedlich gesinnten Lebensphasen manifestiert. Mit Anbruch der 1920er Jahre fand Schulhoff Inspiration bei den Dadaisten und suchte musikalische Vorbilder “auch im Trivialen und Primitiven“. Nach seiner Dada-Phase komponierte er hauptsächlich Werke, die im Geist des Sozialistischen Realismus entstanden, wie etwa die Kantate auf das „Kommunistische Manifest“‚. Gegen Ende seines Lebens wandte sich Schulhoff wieder klassischen Musikformen zu, innerhalb welcher er aber mit Jazz und Folklore experimentierte und spielte. „Schulhoff war ein Idiosynkrat, wendete sich dem Neoklassizismus zu, dem Kommunismus, der Populärmusik, der Auseinandersetzung mit Weiblichkeit und Sexualität.“ (Shaya Feldmann im Gespräch über Erwin Schulhoff; https://jungle.world/artikel/2017/40/verlust-von)
Sonata Erotica, für Solo-Muttertrompete (1919) – performt von Loes Luca mit der Ebony Band im April 2013 in Amsterdam
aus „Der gute Mensch von Sezuan“ von Bertolt Brecht, Musik von Paul Dessau.
Sieben Elefanten hatte Herr Dschin und war dann noch der achte. Sieben waren wild und der achte war zahm und der achte war’s der sie bewachte.
Trabt schneller! Trabt schneller! Herr Dschin hat einen Wald der muss vor Nacht gerodet sein und Nacht ist jetzt schon bald!
Sieben Elefanten roden den Wald und Herr Dschin ritt hoch auf dem achten. All den Tag Nummer acht stand hoch auf der Wacht Und sah zu, was sie hinter sich brachten.
Grabt schneller! Grabt schneller! Herr Dschin hat einen Wald der muss vor Nacht gerodet sein und Nacht ist jetzt schon bald!
Sieben Elefanten wollten nicht mehr hatten satt das Bäumeabschlachten. Herr Dschin war nervös, auf die sieben war er bös und gab ein Schaff Reis dem achten.
Was soll das? Was soll das? Herr Dschin hat einen Wald der muss vor Nacht gerodet sein und Nacht ist jetzt schon bald!
Sieben Elefanten hatten keinen Zahn seinen Zahn hatte nur noch der achte. Und Nummer acht war vorhanden, schlug die sieben zuschanden und Herr Dschin stand dahinten und lachte.
Grabt weiter! Grabt weiter! Herr Dschin hat einen Wald der muss vor Nacht gerodet sein und Nacht ist jetzt schon bald!