Aller Ernst ist Verblödung

Den sechs Ironien für Klavier zu vier Händen (1920) stellt Erwin Schulhoff einen selbstverfassten Prolog voran:

Lernt Dada

Es lebe! Suff, Ekstase! –
Foxtrott, -lieblichster Prinz und Hanswurst,
Wenn Du Mädchen berührst, werden sie rasend
und sind unersättlich geworden!
Strumpfbänder schwirren und kokettieren
mit abgelegten Offiziersuniformen, die nach Laster riechen!
Ober, eine Zitronenlimonade à la naturelle!
Ich liebe den Alkohol nicht mehr, dafür aber umso mehr schöne Beine! –
Zigarettenreklame, – Berlin, Paris, London, New York!
Weiber sind exhibitionistisch!
Foxtrottkonkurrenz! Behebung aller Arten Insuffizienzen
garantiert ohne Mittelchen! Strengste Diskretion in allen Angelegenheiten –
Detektivbüro „Argus“ oder was beißt mich? –
Bade zu Hause, bediene sich selbst, koche mit Knallgas! –
Lizzi, – Du, – unvergleichlich bist Du, wenn Du Foxtrott tanzt,
Dein Hinterteil (streng ästhetisch!!) pendelt zart und erzählt
Bände von Erlebnissen!
„Jazz“ ist die nächste Devise! –
Ich werde für Dich einen Tango erfinden, den ich „Tango perversiano“ nenne
und den Du – „zum Weinen schön“ tanzen wirst! Mit mir! –
Lizzi, ekstatische Foxtrottprinzessin und letztes Ereignis!!!

.

_



„Husten Scherzo“ von Kurt Schwitters (1937/36)

Das Ganze husten

kraff
püsch
kraff
püsch püü uu
kraff
püsümüsüür
kraff
püsümüsoff
kraff
püsemüse
kraff

püsümüsoff püsümüsüür püsümüsaisch
püsümüsaisch püsümüsoff püsümüsüür
püsümüsüür püsümüsaisch püsümüsoff

kraff
püsch
kraff
püsch püü uu

kraff
püsümüsüür
kraff
püsümüsoff
kraff
püsemüse
kraff

püü uu püü aa püü oo
püü uu püü oo püü aa
püü uu püü oo püü aa
püü oo püü aa püü uu

kraff
püsch
kraff
püsch püü uu
kraff
püsümüsüür
kraff
püsümüsoff
kraff
püsemüse
kraff

püsümüsoff püsümüsüür püsümüsaisch
püsümüsaisch püsümüsoff püsümüsüür
püsümüsüür püsümüsaisch püsümüsoff

kraff
püsch
kraff
püsch püü uu
kraff
püsümüsüür
kraff
püsümüsoff
kraff
püsümüse
kraff

„Husten Scherzo“ von Kurt Schwitters – Aufnahme vom Album „Dada for now“, 1985

„An Anna Blume“ (1929) für Klavier und Musika-Clown

Der Komponist Stefan Wolpe (1902-1972)
(Quelle: milkenarchive.org/artists/view/stefan-wolpe)

Stefan Wolpe (1902-1972)
Mit der Teilnahme an den Gesprächsklassen von Ferruccio Busoni in Berlin lernte Stefan Wolpe führende Künstler seiner Zeit kennen und kam so auch in Kontakt mit den Berliner Dadaisten wie mit dem Bauhaus in Weimar. Über Hans Heinz Stuckenschmidt stieß er zudem zur „Berliner Novembergruppe“, einer Künstlervereinigung der auch Komponisten wie Philipp Jarnach, Hanns Eisler und Kurt Weill angehörten. In seinem Schaffen setzte sich Wolpe mit der Musik der Zweiten Wiener Schule und später mit der seriellen Musik auseinander, rezipierte aber ebenso inspiriert den Jazz und Gebrauchsmusik.

f

„An Anna Blume“ von Kurt Schwitters (1919) mit Musik von Stefan Wolpe (1929)

Stefan Wolpe vertonte das Gedicht Schwitters, das er als kleine Oper bezeichnete, im März 1929 für Klavier und musikalischen Clown (Tenor), wobei der Komponist mit Zwölftonfeldern arbeitete. Der zu Beginn des Stücks vom Sprecher/Sänger vorgetragene Titel startet in einem Fortissimo und wird, gleich einem auf das Minimum zurückgestellten Lautstärkeregler, auf die letzte Silbe zu einem Pianissimo zusammengezogen und hinter die Hörgrenze verlagert. Diese anfangs gebrachte Exposition des Titels (A..A..B..) weißt auf das Alphabet als ein Anagramm hin, das in Kurt Schwitters Werken des Öfteren seine Verwendung findet und mag von Thomas Plebs gleichsam als Hinweis auf das inhaltliche Programm des Liebesgedichts gedeutet werden: „eine A(n)nagrammatik der Liebe – wie man sie auch dreht oder wendet, ihre Substanz bleibt die gleiche. Die Liebe: Ein anagrammatisches Wandelbares – Ein allumfassenden Anagramm?“
(http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2008/6587/)

„An Anna Blume“ von Kurt Schwitters
Umschlag des Gedichtbandes „An Anna Blume“ von Kurt Schwitters (1919)
(Quelle: sdrc.lib.uiowa.edu/dada/Anna_Blume_Dichtungen)

Mit

Gunnar Brandt-Sigurdsson (Tenor) und Johan Bossers (Piano) interpretieren „An Anna Blume“