Haben Sie Kummer?

aus Stefan Wolpes „Massenlieder“ mit einem Text von Siegfried Moos

Haben Sie Kummer, haben Sie Sorgen,
will Ihnen Lehmann nichts mehr borgen:
Bei uns finden Sie eine schönere Welt!
Drei Stunden Vergessen für wenig Geld,
nach dem Sie sich, ach, schon so lange sehnen!
Bei uns gibt es Lachen, bei uns gibt es Tränen.

Immer ran, immer ran an die Kasse!
Unsre Ware ist prima Klasse!
Kommen Sie rein, kommen Sie rein, kommen Sie rein!
Das Theater soll Ihnen Ihr Himmel sein!

Besser als Kintopp, besser als Fusel gibt das Theater sel’gen Dusel.
Mit wenig Moneten verzagen Sie nie!
Die Bühnenstars begeistern auch Sie!
Gerade für Sie sind doch unsere Gaben.
Auch Bildung können Sie bei uns haben!

Immer ran, immer ran an die Kasse!

Unser Theater hat auch Moral,
Raubmord und Totschlag, Liebesqual,
verletzt nie die staatliche Autorität.
Wir achten die Ordnung, die jetzt besteht.
Wir bieten Ihnen das Beste vom Guten.
Nur heitere Stunden (und) ernste Minuten:

Immer ran, immer ran an die Kasse!

x

„Haben Sie Kummer“ von Stefan Wolpe

– Gunnar Brandt Sigurdsson (Tenor) begleitet von Johan Bossers (Klavier)

„An Anna Blume“ (1929) für Klavier und Musika-Clown

Der Komponist Stefan Wolpe (1902-1972)
(Quelle: milkenarchive.org/artists/view/stefan-wolpe)

Stefan Wolpe (1902-1972)
Mit der Teilnahme an den Gesprächsklassen von Ferruccio Busoni in Berlin lernte Stefan Wolpe führende Künstler seiner Zeit kennen und kam so auch in Kontakt mit den Berliner Dadaisten wie mit dem Bauhaus in Weimar. Über Hans Heinz Stuckenschmidt stieß er zudem zur „Berliner Novembergruppe“, einer Künstlervereinigung der auch Komponisten wie Philipp Jarnach, Hanns Eisler und Kurt Weill angehörten. In seinem Schaffen setzte sich Wolpe mit der Musik der Zweiten Wiener Schule und später mit der seriellen Musik auseinander, rezipierte aber ebenso inspiriert den Jazz und Gebrauchsmusik.

f

„An Anna Blume“ von Kurt Schwitters (1919) mit Musik von Stefan Wolpe (1929)

Stefan Wolpe vertonte das Gedicht Schwitters, das er als kleine Oper bezeichnete, im März 1929 für Klavier und musikalischen Clown (Tenor), wobei der Komponist mit Zwölftonfeldern arbeitete. Der zu Beginn des Stücks vom Sprecher/Sänger vorgetragene Titel startet in einem Fortissimo und wird, gleich einem auf das Minimum zurückgestellten Lautstärkeregler, auf die letzte Silbe zu einem Pianissimo zusammengezogen und hinter die Hörgrenze verlagert. Diese anfangs gebrachte Exposition des Titels (A..A..B..) weißt auf das Alphabet als ein Anagramm hin, das in Kurt Schwitters Werken des Öfteren seine Verwendung findet und mag von Thomas Plebs gleichsam als Hinweis auf das inhaltliche Programm des Liebesgedichts gedeutet werden: „eine A(n)nagrammatik der Liebe – wie man sie auch dreht oder wendet, ihre Substanz bleibt die gleiche. Die Liebe: Ein anagrammatisches Wandelbares – Ein allumfassenden Anagramm?“
(http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2008/6587/)

„An Anna Blume“ von Kurt Schwitters
Umschlag des Gedichtbandes „An Anna Blume“ von Kurt Schwitters (1919)
(Quelle: sdrc.lib.uiowa.edu/dada/Anna_Blume_Dichtungen)

Mit

Gunnar Brandt-Sigurdsson (Tenor) und Johan Bossers (Piano) interpretieren „An Anna Blume“